Gott und die Welt
Niederländische Grafik des 16. Jahrhunderts aus dem Besitz der Kunstsammlung der Universität Göttingen
17. Februar – 30. März 2008 Sonderausstellungsbereich
Das 16. Jahrhundert – die Zeit, in der sich die Renaissance nördlich der Alpen etablierte – umfasst ein breites Spektrum an Kunststilen und Themen, – selbst dann, wenn man den Blick nur auf die Niederlande lenkt, die damals politisch wie konfessionell noch nicht endgültig in nördliche und südliche geteilt waren. Es die Epoche, in der in dieser Region die Druckgraphik mit Kupferstich, Holzschnitt und Radierung ihren Siegeszug beginnt. Die berühmtesten Maler schufen Kompositionen, die sie selbst oder ausgezeichnete Stecher auf die Druckplatte übertrugen. Durch die Auflage waren die Werke kostengünstiger als gemalte Bilder, womit sie für einen breiteren, stetig wachsenden Käuferkreis interessant wurden, der sie auf einem sich nun ausbildenden freien Kunstmarkt erwarb. Auch sonst nicht erreichbare Gemälde konnte man dort nun in ausgezeichneten Nachstichen kaufen.
Das Zentrum war zunächst „die berühmte und herrliche Stadt Antwerpen, die dem Kaufhandel ihre Blüte verdankt“. Sie hat, wie der Kunstschriftsteller und Maler Karel van Mander in seinem Malerbuch (Het Schilderboek) 1604 weiter schreibt, „von überallher die bedeutendsten Vertreter unserer Kunst angelockt, die sich in großer Anzahl auch deswegen dorthin begeben haben, weil die Kunst sich gerne in der Nähe des Reichtums aufhält“. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts gründen hier Christoph Plantin, Hieronymus Cock und die Brüder Sadeler Verlage mit großen durchorganisierten Druckereien.
Am Anfang des Jahrhunderts ragt als eine faszinierende Persönlichkeit Lucas van Leiden (1494 ? – 1533) heraus, der mit Albrecht Dürer aus Nürnberg seine Werke tauschte. Mit größter Einfühlung konzentrierte Lucas sich auf die Charakterisierung der Menschen und ihr Handeln und entwickelte sich dabei rasch zu einem großartigen Erzähler, der neue Themen gestaltete und die altvertrauten auf ungewöhnliche Weise verbildlichte. Das Streben nach eigenen künstlerischen Lösungen zeichnet auch die Künstler am Ende des 16. Jahrhunderts aus, doch mit ganz anderen Ergebnissen. In der Bewegung forciert und in den Proportionen gelängt und gesteigert, sind die Gestalten der sogenannten Manieristen. Hendrick Goltzius (1558 – 1616/17) ist der berühmteste von ihnen. Seine Stiche sind es, die sich noch vor 1600 als Vorlagen durch ganz Europa verbreiten.
Die populärste Künstlerpersönlichkeit der Epoche ist Pieter Bruegel d.Ä. (1525/30 – 1569), der in Antwerpen und Brüssel tätig war. Unerschöpflich ist seine Erzählfreude, wenn er die Feste auf dem Dorf schildert oder belehrend die Tugenden und Laster vor Augen rückt. Maerten van Heemskerck (1498 – 1574) dagegen erzählt aus der biblischen oder mythologischen Geschichte und demonstriert, dass er in Italien intensiv die Werke der Antike studierte. Das 16. Jahrhundert ist auch der Zeitraum, in dem sich die Landschaft vom Hintergrundmotiv zum selbständigen Bildthema emanzipierte, wofür die weiten Landschaften von Pieter Bruegel und Hieronymus Cock (1510 – 1570) berühmte Beispiele sind. Schilderungen der Alltagswelt, und mit ihr verbunden Lob oder Warnung vor einem sittenlosen Leben, gehören ebenfalls zu den Bilderfindungen dieser Zeit. Sie sind Zeugnis der genauen Beobachtung der Welt und verraten uns viel von den Gewohnheiten und Vergnügungen der Menschen damals, von ihren Sorgen und Hoffnungen.
Auch in Emden und Ostfriesland kannte und schätzte man die Grafik aus den Niederlanden. Hierher zogen ab 1550 viele niederländische Glaubensflüchtlinge, die neben ihrer Wirtschaftskraft auch ihren Kunstgeschmack mitbrachten. Mit ihnen kamen Künstler, die sich in Ostfriesland niederließen. Ein aus dem Antwerpener Kunstkreis stammender Maler, Johann Vorhagen, war es, der 1576 die ersten beiden Gerechtigkeitsbilder für das Rathaus in Emden schuf, das man ausdrücklich in direkter Anlehnung an das Antwerpener Stadhuis hatte errichten lassen. Mit den Glasbildern beauftragte man ebenfalls eingewanderte Niederländer, nämlich Johan Potter aus Groningen und Johan Janssen aus Amsterdam. Für Gemälde griff man zu Vorlagen von Goltzius. Die Ausstellung bietet also die Gelegenheit, sich in einem repräsentativen Überblick die Kunstwelt auch der ersten Blütezeit Emdens und Ostfrieslands vor Augen zu rücken.
Die 100 graphischen Werke stammen aus dem Besitz der Kunstsammlung der Universität Göttingen, wohin sie der Frankfurter Bürger Johann Friedrich von Uffenbach 1736 gestiftet hatte. Zur Ausstellung ist ein vom Kunstgeschichtlichen Seminar in Göttingen erarbeiteter Katalog erschienen (15 €).