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KUNSTWERK DES MONATS MÄRZ 2007

Stadt Emdens Kornvorrat

Bei dem hier vorgestellten Gefäß handelt es sich um einen Tafelaufsatz, der vor einhundert Jahren anlässlich des 350jährigen Bestehens des „Stadt Emdens Kornvorrats“ in Auftrag gegeben worden ist.

Gold- und Silberwarenfabrik A. Künne
Tafelaufsatz – Terrine
1907
Silber, teilvergoldet, Email, Messing, Ebenholz, Kristall
31,0 x 40,5 cm
Inv.Nr.: SK 455/1 und SK 455/2

Tafelaufsätze sind kunstvoll geschmiedete Objekte, die – zumeist in der Tischmitte platziert – verschiedene funktionale Eigenschaften haben konnten, denen aber gemeinsam ist, dass sie die Tafel zieren sollten. Bei unserem Tafelaufsatz handelt es sich um eine ovale Halterung auf einem Untersatz, in die eine Terrine eingelassen ist. Welchen Zweck die Terrine erfüllen sollte, ist nicht geklärt, aber dass sie benutzt wurde, beweisen Gebrauchsspuren am Boden des Gefäßes. Vielleicht wurde es nicht zum Kredenzen von Speisen verwendet, sondern diente als Jardinière – also als Blumenständer.
Gearbeitet wurde der aus insgesamt 50 Einzelteilen bestehende Tafelaufsatz von der Gold- und Silberwarenfabrik „A. Künne“, die 1821 von Arnold Künne im sauerländischen Altena gegründet worden war. 1872 übernahmen Arnolds Söhne Albrecht Künne und Arnold Künne die Leitung. Albrecht, der die künstlerische Gestaltung der Produkte übernahm, war u. a. an der Anfertigung von Teilen des Tafelaufsatzes für den Kronprinzen Wilhelm von Preußen und seine Gemahlin Auguste Victoria beteiligt, der als Geschenk von 96 preußischen Städten zur Hochzeit des Paares (1881) angefertigt wurde. Der letzte Firmeninhaber war Albrechts Sohn Erwin Künne, der die Firma in den 1930er Jahren aufgab.
An einer langen Seite der ovalen Halterung für die Terrine befindet sich in einer mit vergoldeter plastischer Eichel gekrönten Kartusche eine Email-Tafel, auf der die Vorderfront eines Gebäudes abgebildet ist. 1603 wurde in der Großen Brückstraße 54 (heute Brückstraße 40 a) ein neues Fleischhaus gebaut. Dass die Menschen aber nicht nur von Fleisch leben können, sondern auch Lesefrüchte zu sich nehmen müssen, beweist die Tatsache, dass 1655 die umfangreiche Bibliothek des verstorbenen Dr. Geldricus Crumminga im Dachgeschoss des Gebäudes untergebracht wurde. 1685 allerdings wurde diese Sammlung in die Bibliothek des Konsistoriums in der Großen Kirche integriert. Grund dafür war die Vermietung des Gebäudes an die am 7. März 1682 in Berlin gegründete und ein Jahr später von Pillau nach Emden verlegte Kurbrandenburgisch-Afrikanische Kompanie. Sie richtete hier – unweit des Werftgeländes am Falderndelft, wo sich von 1875 bis 1902 die durch Cassen Cassens und Hermann Klattenhoff gegründete Cassen´sche Werft befand – ein Magazin ein. Doch das Unternehmen des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg wurde durch die Franzosen, die immer wieder Schiffe der Kompanie kaperten, und innerstaatliche Querelen heftig gestört. Nachdem die Kompanie bereits anderthalb Jahrzehnte keine Fahrten mehr unternommen hatte, wurde sie 1711 aufgelöst. Der Enkel des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm I., König in Preußen, bot 1717 das Gelände zum Verkauf an. Schon 1713 hatte die Stiftung „Stadt Emdens Kornvorrat“ das Magazingebäude von der Stadt übereignet bekommen. Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Stiftung nicht mehr Korn bevorratete, vermietete der Vorstand das Gebäude als Militärquartier und später an Privatpersonen.
Das „Engelke up de Müür“ wurde 1495 von König Maximilian I. der Stadt Emden als Wappen verliehen. Es handelt sich dabei um eine aus dem Wappen der Grafenfamilie Cirksena entlehnte Harpye, die hinter einer Backsteinmauer mit fünf Zinnen steht, vor der wiederum ein Gewässer fließt. In der griechischen Mythologie sind Harpyen schreckliche und räuberische Dämonen, die den Wind verkörpern. Sie besaßen Vogelleiber und den Kopf ausgemergelter Frauen. In der Heraldik (Wappenkunde) ist die Harpye zum Jungfrauenadler umgedeutet worden und besitzt damit einen freundlicheren Charakter als ursprünglich zugeschrieben.
An einer der langen Seiten des ebenfalls ovalen Untersatzes ist eine silberne, mit vergoldeten reliefierten Korngaben verzierte Kartusche montiert, die eine Email-Tafel mit zwei Datumsangaben umschließt.
Sechs Emder Bürger taten sich zusammen, um am 5.2.1557 die weltliche Stiftung „Stadt Emdens Kornvorrat“ ins Leben zu rufen. Ziel war es, im Falle von Missernten die Teuerungsrate beim Getreide auszugleichen. Von dem Kapital, das die sechs Bürger sowie die Ostfriesland regierende Gräfin Anna einbrachten, wurde Getreide gekauft, um immer einen Vorrat für Notzeiten zu haben, der zu günstigen Preisen abgegeben werden konnte.
Dem Hinweis auf das Gründungsdatum gegenüber befindet sich am Untersatz eine ähnliche Kartusche, die wiederum eine Email-Tafel umschließt, auf der ein aus Silber gefertigtes Füllhorn aufgebracht ist. Dieses Horn, aus dem Obst quillt, ist das Attribut der Tyche (griechische Mythologie) oder Fortuna (römische Mythologie), die beide Göttinnen des Schicksals sind. Gleichzeitig verkörpert das Füllhorn den Herbst und ist damit Sinnbild reicher Ernten und des daraus erwachsenden Glücks. Entwickelt hat sich das Füllhorn aus dem Horn der Ziege, die ursprünglich im Zusammenhang mit Fruchtbarkeitskulten stand. So wurde in der griechischen Mythologie der spätere Göttervater Zeus von der Ziege Amaltheia genährt. Kronos – Anführer der griechischen Götter während des Goldenen Zeitalters und Vater von Zeus – hatte seinen eigenen Vater Uranos entmannt und entmachtet und sorgte sich nun um seine eigene Absetzung durch eines seiner Kinder. Aus diesem Grund verschlang er jedes von ihnen nach ihrer Geburt. Seine Frau Rhea tauschte aber den jüngstgeborenen Zeus gegen einen Stein aus, den Kronos verschluckte, und versteckte das Kleinkind in einer Höhle auf Kreta. Nachdem Zeus nun durch die Pflege der Ziege herangewachsen war, tötete er seinen Vater und übernahm die Herrschaft über die Welt. Das abgebrochene Horn von Amaltheia wurde zum Füllhorn und symbolisierte den reichen Überfluss.
Eingelassen in eine Kartusche befindet sich an einer der kurzen Seiten des Untersatzes die Vorderseite einer im 19. Jahrhundert geprägten Medaille. In der Bildmitte fahren vor der Vedute von Emden drei Schiffe unter vollen Segeln auf der Ems. Darüber schwebt eine Frauengestalt, die in der rechten Hand einen Lorbeerkranz und in der Linken ein Füllhorn hält. Unter dem Bild befindet sich das Wappen der Stadt Emden, umgeben von der Inschrift „STADT EMDENS KORNVORRATH / FUER TREU / GELEISTETE DIENSTE“.
Gestaltet wurde die Medaille von Gottfried Bernhard Loos, dessen Münzprägeanstalt aufgrund der technischen Ausstattung berühmt für die Qualität ihrer Medaillen war.
Ihr gegenüber befindet sich die Rückseite einer gleichen Gedenkmedaille. Sie zeigt, wie drei rechts stehende, wohlhabende Bürger einem im Vordergrund knienden Mann Korn in einen Sack füllen. Links erwarten drei weitere Personen, darunter ein junges Mädchen, ebenfalls eine Getreidezuteilung. Im Hintergrund thront Gräfin Anna, die sich an der Stiftung mit einer Einlage von einer Last (etwa 3 Tonnen) Roggen beteiligt hatte, und überwacht den Vorgang der Zuteilung. Unten findet sich der Hinweis auf das Gründungsdatum der Stiftung: V. FEBR. MDLVII (= 5. Februar 1557).
Zwischen den beiden Seiten der Gedenkmedaille und den Email-Tafeln sind vier weitere Kartuschen am Untersatz angebracht, auf denen, umgeben von vergoldeten reliefierten Korngarben, die Namen der acht Vorstandsmitglieder des Kornvorrats angegeben sind.
Der Holzhändler Luto Ulbeto van Senden fungierte 1907 als Präses der Stiftung. Er war Senator in Emden, gehörte also als gewähltes Magistratsmitglied der Stadtverwaltung an.
Sein Vater, der Holzhändler Everhardus van Senden wurde 1847 auf der Petschaft des Kornvorrats erwähnt.
Der Vize-Präses Johannes Graepel jun. führte bis 1905 die von seinem Vater Friedrich Graepel gegründete Porzellan-, Glas- und Tonwarenhandlung.
Der Kleider- und Manufakturwarenhändler Johannes Mustert jun. war der Dritte im Bunde des Präsidiums. Auch sein Vater Johannes Mustert sen. war bereits Mitglied der Stiftung gewesen.
Bei H. de Boer, der die Finanzen verwaltete, dürfte es sich um den Kleiderhändler Hybo de Boer handeln, dessen Vater Harm Harmens de Boer ebenfalls Mitglied des Kornvorrats gewesen war und auf der 1855 von Wilkens & van Hoorn gefertigten Glocke des „Stadt Emdens Kornvorrats“ verewigt ist.
Hermann W. Laarmann, der 1907 die Buchhaltung des „Stadt Emdens Kornvorrats“ führte, war seit 1887 Lotsenkommandeur in Emden gewesen. Außerdem gehörte er von 1888 bis 1912 der Direktion der am 25.8.1858 gegründeten Emslotsgesellschaft an.
Rudolf Metger, der hier als angehender (?) Buchhalter bezeichnet wird, war als Rechtsanwalt und Notar in Emden tätig.
Anton Hans Ludwig de Ruyter betrieb in der Großen Straße eine Weinhandlung, die er von seinem Vater Gerrit de Ruyter jun. übernommen hatte. Er war vor dem Eintritt von Nicolaus Sielmann das jüngste Mitglied der Stiftung gewesen.
Nicolaus Sielmann, der 1907 das jüngste Mitglied war, hatte zunächst als Handlungsgehilfe bei seinem Vater Willem Sielmann im Tuchhandel gearbeitet, wird aber im Emder Adressbuch für das Jahr 1907 als Rentner bezeichnet.
Über die Symbolik der Eicheln, die sowohl zwei Kartuschen als auch die Henkel der Terrinenfassung krönen, lässt sich nur spekulieren. Vielleicht sollten sie auf die Dauerhaftigkeit des „Stadt Emdens Kornvorrats“ hinweisen, denn seit der Antike galt die Eiche als Sinnbild der Beharrlichkeit. Man glaubte, dass ihr Holz nicht verwesen könne. Die Früchte dieses Baumes hatten große Bedeutung in der Schweinemast: Durch den Genuss von Eicheln wurde das Fleisch der Schweine kernig und geeigneter für die Haltbarmachung durch Räuchern.
Auf der Unterseite der silber-vergoldeten Terrine wurden vier ligierte Buchstaben gespiegelt eingraviert, die von Kornähren umgeben sind: SEKV (= Stadt Emdens Korn-Vorrat). Auf dem Untersatz, auf dem die Terrine in ihrer Halterung steht, ist ein Spiegel angebracht, in dem die ineinander verschlungen Buchstaben lesbar werden.

Aiko Schmidt M. A.