NETZWERKPARTNER

Emden ist erste Reformationsstadt Europas

Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Brückstraße 1 | 26725 Emden
Tel.: +49 (0)4921 - 87 20 50

Öffnungszeiten:
Di - So: 10:00-17:00 Uhr
Mo geschlossen sowie an Karfreitag, 24.12., 25.12. + 31.12. + 1.1.
Ostermontag, Pfingstmontag und am 26.12. geöffnet

UNSERE NÄCHSTEN VERANSTALTUNGEN

FREITAGS, 15:30 - 17:00 UHR
KIDS IN!
Programm für kreative Köpfe von 6 bis 10 Jahre

09 Uhr, 11 Uhr, 13 Uhr, 15 Uhr, 17 Uhr, 19 Uhr, 21 Uhr
Emder Glockenspiel
gespielt von Michael Schunk

Bewerbungsschluss: 30. April
Wir suchen dich! FSJ im OLME
Deine Chance für eine vielseitige und spannende Erfahrung

KUNSTWERK DES MONATS AUGUST 2005

Kampf dem Dilettantismus

In einer Hügellandschaft erhebt sich in der rechten Bildhälfte die Ruine eines Turms mit einem Torbogen, durch den ein breiter Weg führt. Eingefasst wird der Weg durch kleine Erhebungen, die von Gräsern und Bäumen bewachsen sind. Im Vordergrund links, zwischen Felsen neben dem Weg, sitzt eine Frau auf einem Baumstamm, während ein Mann einen Korb herbeiträgt, um eine Rast einzulegen.

Künstler: Martin von Molitor (1759 Wien – 1812 Wien)
Radierer: Franz Gabet (1765 Wien – 1847)
Zwei Wanderer rasten bei einer Ruine
um 1800
25,1 x 30,0 cm
Inv.Nr.: GS Kunst 2050

Unter dem Bild rechts findet sich die Signatur: „d´apres le dessin original de M. Molitor par Gabet.“ Franz Gabet (1765 – 1847), ein in Wien lebender Radierer, hat die Graphik nach einem Werk des Wiener Landschaftsmalers Martin von Molitor (1759 – 1812) gearbeitet.
Eine typische arkadische Landschaft, wie sie im 18. Jahrhundert von vielen Künstlern dargestellt wurde, und eigentlich nichts Besonderes.
Doch irgendjemand hat die Dreistigkeit besessen, in das Bild mit Tinte und Buntstift hinein zu schreiben. „51 Gabet nach Molitor (N° 31)“ und „P S [durchgestrichen] 18 9 Abdr.“ prangt es deutlich sichtbar über der Turmruine. Und nicht nur wir schütteln heute fassungslos den Kopf über die Verunstaltung eines Kunstobjektes, auch unsere Altvorderen konnten diese Unsitte nicht begreifen. So ist an das Blatt ein kleiner Zettel geklebt, auf dem eine mit „L.“ signierende Person einige Informationen zu dem Bild geschrieben hat. Bei „L.“ handelt es sich um Dr. Carl Louis, der vom 1. Juni 1936 bis zum 1. September 1939 Direktor des Ostfriesischen Landesmuseums war. Er hatte sich in dieser Zeit durch alte Künstlerlexika gearbeitet, um die graphische Sammlung der Gesellschaft wissenschaftlich aufzuarbeiten. Sein Kommentar lautet: „Martin von Molitor ist ein bekannter Wiener Künstler gewesen. Dieses Blatt ist jedoch nicht erwähnt [in den Künstlerlexika]. Um so trauriger ist die von schlimmstem Dilletantismus [sic!] zeugende Verschmierung des Blattes, die wir leider sogar aus neuerer Zeit auf Urkunden und Ähnlichem finden. Man sollte dieses Blatt mit dem Ruf: „Legt endlich den Dilletanten [sic!] das Handwerk“ durch die ganze Welt schicken!“ Das sei hiermit geschehen.
Doch was ist ein Dilettant? Im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Wort aus dem italienischen „dilettare“ = „ergötzen“ und bezeichnete jemanden, der sich zum Zeitvertreib ohne eine spezifische schulische Ausbildung mit Kunst oder Wissenschaften befasste. Bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Begriff positiv besetzt. So wird Franz Gabet – der Radierer unseres Landschaftsbildes – noch 1920 im 13. Band des Allgemeinen Lexikon der bildenden Künstler (Thieme Becker) als Dilettant bezeichnet, was nicht mehr bedeutet, als dass er an keiner Kunstakademie das Handwerk des Radierens gelernt hat. Doch zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Dilettant immer mehr zum Halbwissenden mit dem Hang zur Ungründlichkeit, zu jemandem, der absolut keine Ahnung von dem hatte, was er tat. Wer der hier tätige – negativ besetzte – Dilettant war, der sich schreibender Weise auf der Graphik verewigt hat, lässt sich nicht mehr bestimmen. Allerdings lässt sich der Zeitpunkt, wann der Dilettantismus erfolgte, einigermaßen bestimmen, denn es handelt sich um eine Schrift, die etwa um 1900 gebräuchlich war.
Und es lässt sich auch sagen, wen Dr. Louis meinte, als er schrieb, dass man solche Schmierereien „leider aus neuerer Zeit auf Urkunden und Ähnlichem finden“ kann. Prof. Dr. Friedrich Ritter (1856 – 1944), der von 1890 bis 1930 die gewichtigste Person in der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer war, neigte dazu, in Akten und auf Urkunden seine Anmerkungen mit Bleistift und auch Tinte zu hinterlassen. Obwohl er Gymnasiallehrer und kein Archivar war, hatte er freien Zugang zum Stadtarchiv, das er im Grunde ohne Legitimation über Jahrzehnte leitete. Trotz seines enormen Wissens zur Stadtgeschichte besaß Prof.. Ritter aber nicht nur Bewunderer, sondern auch eine Reihe von Widersachern, die sich mit seiner Art nicht anfreunden konnten. Außerdem waren Ritters Großeltern väterlicherseits jüdischen Glaubens gewesen. Seit März 1938 durften jüdische Mitbürger keine Archive mehr benutzen. So schrieb Oberbürgermeister Carl Renken dem 82jährigen Heimatforscher 1938: „Die Einstellung des nationalsozialistischen Staates zur Rassenfrage dürfte Ihnen bekannt sein. Ich teile Ihnen daher mit, dass ich Ihnen die Benutzung des städtischen Archivs, der Rüstkammer usw. und das Betreten des Rathauses einschliesslich der Nebengebäude zu Zwecken Ihrer wissenschaftlichen Forschungen verbiete.“ Dummerweise erklärte Kreisleiter Johann Menso Folkerts dem Oberbürgermeister nach einem Gespräch mit dem stellvertretenden Gauleiter und dem Regierungspräsidenten, er sollte in diesem Falle kürzer treten. Ritter „habe sein ganzes Leben in den Dienst der Kunst gestellt, sei zwar Halbjude, habe aber große Verdienste. In solchen Fällen hätte auch der Führer weitere Mitarbeit [bei stadtgeschichtlichen Themen] gutgeheißen.“ Und vor allem galt das Archivnutzungsverbot nicht einmal für Halbjuden, so dass Renken versprach, Ritter den Zutritt zum Archiv wieder zu erlauben. Es blieb aber der Tatbestand, dass Ritter in den Beständen des Stadtarchivs herumgeschmiert hatte. So vermerkte Dr. Louis Hahn – damals Vorsitzender der „Kunst“ – im April 1938: „Fast in sämtlichen Akten, Rechnungsbüchern. Protokollen usw. begegnet man Eintragungen von der Hand des Professors Dr. Ritter. Sie stammen aus einer Zeit, in der Ritter fast ebenso Alleinherrscher im Stadtarchiv war wie in der „Kunst“. […] Ritter selbst hat sich einmal in einem Schriftsatz, der bei Aktenstücken der „Kunst“ liegt, gerühmt, daß man überall Spuren seiner Arbeit feststellen könne.“ Und das wiederum war wie heute auch in den 1930er Jahren verboten.
Genauso verboten ist es, eine Graphik dadurch zu zerstören, dass Informationen handschriftlich auf der Bildseite angebracht werden, denn auf der blanken Rückseite ist dafür ausreichend Platz vorhanden.

Aiko Schmidt M. A.