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KUNSTWERK DES MONATS APRIL 2005

Radschlosspistole mit Hinterladersystem

Die Waffe scheint auf den ersten Blick wenig spektakulär: Der achtkantige Lauf von 14 mm Kaliber trägt das heute nicht mehr bestimmbare Monogramm HS.

Radschlosspistole mit Hinterladersystem
Deutsche Arbeit
um 1620
Länge: 68,0 cm; Kaliber: 14 mm; Gewicht: 2,0 kg
Inv.Nr.: RK 1344

Der Kolben ist gerade und kurz und aus braunem Holz gefertigt. Ihr einfach und wirkungsvoll konstruierter Zündmechanismus ist ein Radschloss, dessen Rad durch eine von innen aufgeschraubte und einfach gravierte Messingkapsel verdeckt wird. Betätigte man den Abzug, läuft ein vorher über einen Vierkant aufgezogenes, federgetriebenes Stahlrad ab. Eine weitere Feder drückt einen Hebel (= Hahn), der nun statt einer Lunte ein Stück Feuerstein hält, gegen die gehärtete Zahnung des Rades. Dadurch entsteht ein wahrer Feuerregen, der unmittelbar in die Zündpfanne schlägt, das dort befindliche Zündkraut entflammt und über einen Zündkanal die Pulverladung im Lauf zur Explosion bringt.
Neu und sehr früh für eine Pistole ist die Art der Munitionszuführung. Wurden bislang die Waffen über den Lauf geladen (Vorderlader), so ist diese Waffe mit einem neuen Hinterladersystem ausgestattet, das bislang nur vereinzelt bei Schiffskanonen anzutreffen war. Der Lauf ist an seinem zum Schloss weisenden Ende oben aufgeschnitten und dieser Ausschnitt kann durch eine seitlich links angebrachte und mit zwei Scharnieren drehbar gehaltene Klappe geschlossen werden. Hier wird eine eiserne Patrone in den Lauf eingeschoben. Die Patrone hat einen eigenen Zündkanal. Ein Zapfen sorgt dafür, dass sie in die richtige Position zum Zündkanal des Schlosses fällt und nach dem Schuss das Herausziehen der leeren Patrone ermöglicht. Allerdings ist der Mechanismus für Störungen anfällig, ein Umstand der die Qualität einer Waffe doch erheblich mindert. Hinderlich ist weiterhin die komplizierte Herstellung der Patrone mit ihrem eigenen Zündkanal.
Dennoch ist die Waffe bemerkenswert, denn sie vereint früh jene einfallsreichen Erfindungen, von denen jede allein einen Meilenstein in der Entwicklung der Militärtechnik darstellt: das Radschloss, das Hinterladersystem und die Metallpatrone.
Radschlosswaffen waren in Deutschland seit 1505 bekannt und waren seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts auf den europäischen Kriegsschauplätzen anzutreffen. Aufgrund ihrer Funktionen, bedingt durch den neuen Zündmechanismus und den daraus resultierenden Eigenschaften in der Sicherheit und in der Bedienung waren die Radschlosspistolen besonders für die Kavallerie geeignet und stiegen im 17. Jahrhundert zu deren Hauptwaffe auf.
Papierpatronen setzten sich erst im Dreißigjährigen Krieg durch. Bis dahin wickelten die Schützen ihre Kugeln in kleine talggefettete Läppchen. Da sie gleichzeitig leicht unterkalibrierte Geschosse luden, brauchten sie weniger Kraft, um das gepflasterte Geschoss mit dem Ladestock durch die Züge und Felder des Laufes zu stoßen. Das notwendige Schießpulver entnahmen sie einem der 12 Holzfläschchen, welche die Schützen an einem breiten Ledergurt über der Schulter trugen. Die Musketiere des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf luden ihre Musketen erstmals mit Patronen in Form kleiner Papiersäckchen, die das dosierte Pulver, ein Zwischenmittel und die Kugel enthielten und nacheinander in den Lauf geschoben wurden. Damit wurde der Ladevorgang und letztlich die Schusshäufigkeit erheblich beschleunigt. Metallpatronen - mit einem jedoch völlig anderen Wirkungsprinzip – wurden erst im 19. Jahrhundert zur Regel. 1848 entwickelte der Pariser Büchsenmacher Gustav Flobert die erste Patrone mit Metallhülse: Knallquecksilber diente anstelle des Schwarzpulvers als Zündmittel und Treibladung zugleich.
Die Munitionszuführung des Hinterladersystems setzte sich ebenfalls erst im19. Jahrhunderten nach verschiedenen Vorläufern, die aber nicht zur Serienproduktion gelangten, im militärischen Bereich mit der preußischem Zündnadel von Johann Nikolaus Dreyse durch.
Damit besitzt die Emder Rüstkammer eine der wenigen erhaltenen Waffen in Museumsbeständen, die kühne konstruktive Schöpfungen belegen, die weit über ihre eigene Zeit reichten. Leider ist über den Fabrikant dieser Waffe nichts bekannt, da die Waffe außer dem Monogramm des Eigentümers nicht die Marke des Büchsenschmiedes aufweist. Stilmerkmale der Kolbenform weisen sie als deutsche Arbeit aus. Zentren damaliger deutscher Pistolenherstellung waren Dresden, Suhl, Nürnberg und Braunschweig.

Dr. Wolfgang Jahn