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KUNSTWERK DES MONATS JULI 2004 (2)

Militärtechnische Revolution im 19. Jahrhundert: das Zündnadelgewehr

Zwei Konstrukteure – Johann Nikolaus von Dreyse (1787 – 1867) und Antoine Alphonse Chassepot (1833 – 1905) – stehen im 19 Jahrhundert für eine Entwicklung, die das Militärwesen im 19. Jahrhundert geradezu revolutionär veränderten.

Preußisches Zündnadelgewehr M / 60
Königlich-Preußische Gewehrfabrik Saarn bei Mühlheim / Ruhr
1861
Holz, Eisen
Länge: 145,0 cm; Kaliber: 15,4 mm; Gewicht: 4,3 kg
Inv.Nr.: RK 2009

Sie entwickelten für Preußen und Frankreich die ersten einsatzfähigen Hinterlader. Als Zündnadelgewehr war es die Waffe der preußischen Infanterie in den Feldzügen 1864, 1866, 1870/71.
Aus dieser Reihe wird heute das preußische Zündnadelgewehr M/60 aus der Emder Rüstkammer (Inv.Nr. RK 2009) vorgestellt. Die Waffe stammt aus der Königlich-Preußischen Gewehrfabrik Saarn bei Mühlheim / Ruhr. Sie hat ein Kaliber von 15,4 mm, wiegt 4,3 kg und ist ohne Seitengewehr (= Bajonett) 145 cm lang. Das Schloss ist ein Zylinderverschluss des Systems Dreyse. Der vierfach rechts gezogene Lauf besitzt ein Standvisier mit zwei Klappen; die große Klappe verfügt über einen segmentförmigen Ausschnitt. Der Abzugbügel weist eine Handstütze auf. An der Mündung ist der treppenförmiger Haft für die Arretierung des Bajonetts erkennbar. Auch das eiserne Kolbenblech weist auf die Eignung des Gewehres für den Nahkampf hin.
Das Gewehr ist mit den typischen Stempeln einer Militärwaffe gekennzeichnet: auf der Hülse links der Stempel der Königlich-Preußischen Gewehrfabrik Saarn, rechts das Ausgabejahr „1861“; weiterhin die staatliche Superrevisionsmarke „F(riedrich)W(ilhelm)“ unter Krone auf dem Schloss und Kolben. Den Abschluss bilden 11 Abnahmestempel und die Ziffer „2847“.
Bemerkenswert ist, dass auf dieser Waffe der Truppenstempel fehlt. Eine Akte im Stadtarchiv Emden (VIII.A3N.4n) gibt Aufklärung. Im Jahr 1872 wurden nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 vom königlich-preußischen Kriegsministerium eine Reihe von Waffen der Emder Rüstkammer geschenkt. Sie kamen aus den Artilleriedepots in Oldenburg und Mainz. Aus Oldenburg wurden 61 Waffen nach Emden gebracht, darunter „1 Füsseliergewehr Mod. 60 mit aufgepflanztem Seitengewehr“. Artilleriedepots waren Behörden zur Verwaltung der Bestände an Waffen und Munition für alle Truppen, die nicht an die Einheiten ausgegeben waren. Daher trugen diese Bestände auch keinen Truppenstempel. Einen Einblick in die Quantität mögen folgende Zahlen geben: Zum Zeitpunkt der Mobilmachung gegen Frankreich 1871 waren rund 137.000 Gewehre bei der Truppe, 254.000 lagerten in den Depots. Unsere Waffe war 1872 bereits technisch veraltet und konnte so der Emder Rüstkammer übergeben werden.
Hinterlader sind Feuerwaffen, bei der Pulver und Geschoss nicht wie bei dem früher üblichen Vorderlader von der Mündung her in den Lauf eingebracht werden, sondern das Laden vom hinteren Laufende aus erfolgt. Um dies zu bewerkstelligen, muss der Lauf an seinem hinteren Ende geöffnet werden können, d. h. mit einem beweglichen Verschluss versehen sein, der typischerweise auch die Auslösevorrichtung enthält. Hauptvorteil des Hinterladers bei Handfeuerwaffen ist die bedeutend erhöhte Schussgeschwindigkeit. Die Schützen konnten die Waffe auch einfacher und schneller hinter einer Deckung laden, wenn nötig auch im Liegen, und feuern, da man keinen Zugang zur Mündung mehr benötigte.
Durch den Hinterlader wurde weiterhin die Entwicklung der Patronenmunition notwendig. Während beim Vorderlader der Schütze Treibladung, Projektil und Zündmaterial getrennt laden musste, sind bei der Patronenmunition alle Komponenten durch eine Hülse zusammengehalten und können in einem Vorgang geladen werden. Durch die direkte Einbringung des Zündhütchens in die Hülse und damit in die Treibladung verkürzt sich zudem die Verzögerung zwischen Betätigung des Auslösers und Schuss.
Das Hinterladersystem ist alt und wurde bei Geschützen schon 1346 in der Schlacht bei Crécy (Sieg der Engländer unter Eduard III. über die Franzosen unter Philipp VI.) verwendet, konnte sich aber aufgrund der unzureichenden Gasabdichtung nicht durchsetzen. Bei Gewehren gab es Hinterladersysteme seit der 2. Hälfte 15. Jahrhunderts. Das Laden der Waffe erfolgte damals meist mit einer herausklappbaren, d. h. nach der Seite oder nach oben schwenkbaren Kammer. Seit der 2. Hälfte 17. Jahrhunderts waren auch Kippläufe in Gebrauch. Die mangelhafte Gasabdichtung und die damit einhergehende geringere Schussweite und die Beeinträchtigung der Sicherheit des Schützen war aber weiterhin ein Problem.
Der erste brauchbare Hinterlader auf der Basis des Zündnadelsystems wurde von Johann Nikolaus von Dreyse (1787 – 1867) in Sömmerda entwickelt und 1828 patentiert. Während früher Pulver und Geschoss nacheinander in den Lauf eingebracht wurden, entwickelte Dreyse die Einheitspatrone, bei der Geschoss und Treibladung als Einheit zusammengefügt waren. Dabei wird nach Betätigung des Abzugshahns das mit der Patrone verbundene Zündplättchen durch den Stich einer mittels Federkraft in das Innere des Gewehrlaufs gedrückten Nadel, der Zündnadel, entzündet. Entscheidend war jedoch für den Durchbruch des neuen Systems war die Entwicklung der entsprechenden Zylinderschlosskammer mit Verriegelung, die Dreyse erst 1836 gelang. Alle späteren Hinterladersysteme mit Zylinderschloss beruhen auf dieser Konstruktion. Die höchste Visiereinstellung betrug 600 m, die Schussweite um 800-1.000 m.
Den Auftrag zur Fertigung von 60.000 Zündnadelgewehren erteilte König Friedrich Wilhelm IV. per Kabinettsorder vom 4.12.1840 und in den folgenden Jahren wurden sie in der preußischen Armee als einheitliche Waffe eingeführt. Mit Hilfe von Staatskrediten errichtete Dreyse seine Gewehrfabrik in Sömmerda. Offiziere, Unteroffiziere und Büchsenmacher wurden in die Dreyse-Fabrik abkommandiert, um die neuen Waffen kennen zu lernen. Diese Leute gaben dann die Lehrkommandos für die Truppe ab bzw. wurden für die Aufnahme der Produktion in anderen Standorten wie Saarn und Spandau geschult. Die fertigen Waffen gelangten sofort in das Berliner Zeughaus. Aus Gründen der Geheimhaltung wurden sie dort zunächst als „leichte Perkussionsgewehre“ geführt. Dieses Geheimnis blieb bis zum 14. Juni 1848 gewahrt, denn an diesem Tag im Revolutionsjahr stürmte die Berliner Bevölkerung das Zeughaus, um sich gegen die erstarkende Konterrevolution zu bewaffnen.
In Preußen erhielten zuerst die Füsilierbataillone das neuartige Gewehr, das seine ersten Einsätze bei der Niederschlagung der Aufstände in Dresden, dann in der Pfalz und in Baden erlebte. Das preußische Kriegsministerium hatte Gelegenheit, mit dem Zündnadelgewehr Truppen- und Gefechtserfahrungen zu sammeln. Prinzregent Wilhelm ordnete an, die gesamte Armee mit Zündnadelwaffen auszustatten. Im Jahre 1855 erhielt die Waffe in Preußen die offizielle Bezeichnung „Zündnadelgewehr M 41“. Entsprechend der Verschiedenartigkeit der Verwendung entstanden nach diesem System unterschiedliche Modelle und Abarten: für die Jäger und Schützen nacheinander die Büchsen M 49, M 54 und schließlich M 65; für die Füsiliere das Füsiliergewehr M 60, womit diese bis 1863 ausgerüstet waren, und dann das neue Modell M 62, welches erst 1867 zur Ausgabe an die Truppe kam und schließlich das Modell M 71. Die Veränderungen betrafen u. a. die Kürzung der Gesamtlänge, solidere Bajonettbefestigungen, kleinere Kaliber, den Einsatz von Metall- anstelle Papierpatronen.
Die Überlegenheit des Zündnadelgewehrs mit seiner Einheitspatrone wurde in den Kriegen von 1864 und 1866 offenkundig. Sie hat nicht unwesentlich dazu beigetragen das in einem der größten kriegerischen Treffen der modernen Geschichte, am 3. Juli 1866 bei Königgrätz (Hradec Králové), Preußen zur stärksten Militärmacht in Mitteleuropa aufrückte. In dieser Entscheidungsschlacht des preußisch-österreichischen Kriegs besiegten die preußischen Truppen unter Helmuth Graf von Moltke die österreichisch-sächsische Nordarmee unter Ludwig von Benedek. Das Zündnadelgewehr hatte eine furchtbare Ernte gehalten. Die Österreicher beklagten 43.000 Mann an Toten, Verwundeten und Kriegsgefangenen, denen nur 9000 preußische Verluste gegenüber standen.
Nach 1866 folgten die andere deutschen Staaten folgten dem preußischen Vorbild. Als Preußen 1870/71 mit seinen Verbündeten dann in den Krieg gegen Frankreich zog, war es mit den genannten Weiterentwicklungen noch immer die Standard- Infanteriewaffe. Hier trafen dann die deutschen Waffen auf ein im Aufbau ähnliches Gewehr, das berühmte Chassepot-Gewehr. Der preußischen Staat ehrte den Konstrukteur und Unternehmer Johann Nikolaus Dreyse hoch: 1854 wurde er zum Geheimen Kommissionsrat ernannt und 1864 für seine Verdienste in den erblichen Adelsstand erhoben.

Dr. Wolfgang Jahn