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Emden ist erste Reformationsstadt Europas

Ostfriesisches Landesmuseum Emden
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KUNSTWERK DES MONATS DEZEMBER 2003

Die Weihnachtsflut 1717

Bedingt durch den etwa ab 1000 einsetzenden Deichbau, der natürlich das kultivierte Land und seine Bewohner vor dem Wasser schützen sollte, kam es, da der natürliche Überflutungsraum nicht mehr zur Verfügung stand, zu größeren Stauwirkungen in den Buchten und Flußmündungen, so dass die Sturmfluten an diesen Stellen immer höher aufliefen.

Johann Baptist Homann (1664 Oberkammlach / Schwaben – 1724 Nürnberg)
„Geographische Vorstellung der jämerlichen Wasser-Flutt in Nieder Teutschland, welche den 25. Dec. Ao 1717 in der heiligen Christ-Nacht, mit unzählichen Schäden und Verlust vieler tausend Menschen einen großen theil derer Herzogth. Holstein und Bremen, die Grafschaft Oldenburg, Frieslandt, Gröningen und Nord-Holland überschwemmet hat“
1718
kolorierte Radierung
47,0 x 57,7 cm
Inv.Nr.: GS Kunst 10490

Und dann und wann konnten die von Menschenhand geschaffenen Bollwerke gegen die See der Naturgewalt nicht standhalten – es kam zu Deichbrüchen und teilweise bei besonders schweren Sturmfluten zu einer gravierenden Veränderung der Küstenlinien.
Der Jadebusen im Osten der ostfriesischen Halbinsel entstand durch die Julianen-Flut vom 17. Februar 1164, die Clemens-Flut vom 23. November 1334, die 2. Marcellus-Flut vom 16. Januar 1362, die Cosmas- und Damian-Flut vom 26. September 1509. Die größte Ausdehnung des Jadebusens verursachte aber die Antoni-Flut vom 16. Januar 1511.
Der Dollart im Südwesten Ostfrieslands umfaßte während seiner größten Ausdehnung im 16. Jahrhundert ein Gebiet, auf dem sich einst eine Stadt – nämlich das südöstlich von Emden gelegene Torum –, drei Flecken und über 30 Dörfer befunden hatten, die alle in der Cosmas- und Damian-Flut versunken sind. Doch dieser Meerbusen kurz vor der Mündung der Ems in die Nordsee entstand in seinen Anfängen bereits wohl mit der 2. Marcellus-Flut und nach einer Sturmflut im Jahre 1377, in der das Dorf Jansum, das im Westen der Emden gegenüber liegenden Halbinsel Nesse stand, im Wasser versank, als dort der Deich brach. Wenig später brach auch der ostwärtige Deich auf der Halbinsel, so daß das Wasser nun ungehindert fließen und die Ems sich ein neues Bett bahnen konnte. Über die Jahrhunderte hinweg haben aber die ostfriesischen und niederländischen Küstenbewohner durch Einpolderungen Zweidrittel des Dollarts wieder in bewohnbares Land umgewandelt.
„Auf den 1. Christ-Tag des Morgens […] stund gantz Ostfrießland, längst der See, und insonderheit Wittmunder Ampt meistentheils unter Wasser; Funnik-Siel und -Loog, Butfoord, Burhave, Bleersum, Beerdum, Eggeling und Asel waren biß auf die Kirchen und höchst-liegenden Haüser, überschwemmt.“ So begann der Wittmunder Pastor Hieronymus Brückner (1674 – 1764) seinen Bericht über die verheerende Weihnachtsflut des Jahres 1717 im Kirchenprotokoll.
Einige Tage lang hatte ein stürmischer Wind aus Südwest geherrscht, der am Sonnabend vor Weihnachten in einen Nordwest-Sturm umschlug und das Wasser aus dem Atlantik durch den Ärmel-Kanal in die Nordsee presste. Das heran strömende Wasser untergrub die Seedeiche und brach schließlich am 24. Dezember gegen Mitternacht ins Land ein. Halb Ostfriesland stand unter Wasser und sogar in Riepe an der Kirche und dem Kirchturm, in Simonswolde und in Ayenwolde an der Pastorei verursachte die Sturmflut schwere Beschädigungen. Der Orkan tobte noch drei Tage und drückte weiterhin Wasser durch die gebrochenen Deiche, so dass das bereits im Land stehende Wasser nicht wieder abfließen konnte. Mit den Wassermassen trieben auch viele Schiffe bis weit ins Binnenland, die nach Rückgang des Wassers entweder verschrottet oder kostenintensiv wieder an die Küste verbracht werden mussten.
Insgesamt ließen in Ostfriesland 2787 Menschen ihr Leben, außerdem ertranken 2259 Pferde, 9514 Rinder, 2589 Schafe und 1048 Schweine (15410 Tiere), 1030 Häuser wurden vollkommen zerstört und weitere 1833 beschädigt, vermerkte der Emder Prediger Gerhardus Outhof in seinem Buch „Verhaal van alle de hooge waterfloeden“ von 1718. Emden wurde wesentlich weniger von der Sturmflut getroffen als vor allem das nördliche Ostfriesland. So zitierte Christian Funck in seinem Buch XXX aus dem Jahre 1718, in dem er sämtliche Schadensberichte der norddeutschen Landstriche auflistete, auf Seite 120f. einen Bericht aus Emden, in dem es hieß: „In der Stadt Embden sind alle Schleusen behalten / allein unsere lange Brücke ist gäntzlich von den Pfälen / die annoch stehen / abgetrieben / und ein Theil von unser Stadtmauer an der Wasser-Seite liegt übern Hauffen. Sonst ist hie und da kleiner Schaden an den Thoren und Strassen geschehen / auch die Boltenportische Brücke weg. Diese ist unser grössester Schade.“ Zwei Menschen mussten dennoch ertrinken.
Die ersten Leichen konnten bereits nach wenigen Tagen gefunden und – wenn auch zum Teil anonym, da sie von unbekanntem Ort her angetrieben waren – mit christlichem Segen begraben werden, aber einige Totenregister weisen nach, dass eine größere Anzahl von Wasserleichen erst im Sommer, ja noch ein Jahr nach der schweren Katastrophe ihre letzte Ruhe finden konnte.
Es war nicht die erste Sturmflut in der ostfriesischen Geschichte, die große Schäden anrichtete, aber eine, die weit über die Grenzen Ostfrieslands für „Schlagzeilen“ sorgte. So berichtete Pastor Brückner, „daß Sich grosses Mittleyden in Ober-Teütschland bey Christl. Hertzen freywillig offenbahret“ und viele Geld- sowie Sachspenden die notleidende Bevölkerung Ostfrieslands erreicht hätte. Innerhalb Ostfrieslands war zu bemängeln, daß „manche Menschen, an statt vor Gott Sich zu demüthigen, und ihres Nohtleidenden Nechsten Sich zu erbarmen, vielmehr auf Raub ausgegangen“ waren, doch Brückner hielt in seinem Bericht fest, daß die meisten dieser schwarzen Schafe sich dermaßen verkühlt hatten, daß sie „theils geschwind, theils etwas später“ an den Folgen verstorben sind. Und diejenigen, die weder erkrankten, noch von öffentlichen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden konnten, die würden ihre verdiente Strafe eines Tages vor dem göttlichen Gericht in Empfang nehmen müssen. Brückner entstammte einer in Leipzig ansässigen Familie, deren Mitglieder zumeist hohe weltliche Ämter am Fürstenhofe bekleideten, studierte aber in Erfurt und Halle an der Saale Theologie. Dort wurde er stark von August Hermann Francke (22. März 1663 – 8. Juni 1727), einem der fleißigsten Vertreter des Pietismus, beeinflusst. Der Pietismus war eine von subjektiver Frömmigkeit geprägte Bewegung des deutschen Protestantismus, der eine Erneuerung der Kirche vorschwebte. Im Zentrum des Pietismus stand nicht mehr die von Gottes Gnade erfolgende Wiederherstellung des gestörten Verhältnisses – bedingt durch die Erbsünde und die persönlichen Sünden – zwischen den Menschen und Gott, sondern die individuelle Bekehrung. 1697 kam Brückner, von Francke dazu aufgefordert, nach Dornum in Ostfriesland, wo er aber schon kurz darauf eine behördliche Untersuchung über sich ergehen lassen musste. Nach einem kurzen Intermezzo in der Grafschaft Waldeck in Nordhessen zog es ihn 1711 erneut in den Nordwesten Deutschlands, wo er in Wittmund die Stelle eines 2. Predigers erhielt. Brückners pietistischer Glaube war Anlass für die Beurteilung der Weihnachtsflut als eine Sendung des gleichzeitig strafenden wie auch gnädigen Gottes. Vorboten für die schwere Flut – eine göttliche Ankündigung – waren in seinen Augen die Viehseuchen des selben Jahres und die Überhandnahme von Schädlingen wie Mäuse und Ratten gewesen. Einer der Gründe für die „Sintflut“ – so stellte es eine in der Nähe von Halle an der Saale 1718 gehaltene und von K. Weiske in den Upstalsboomblättern, Jg. 13, Heft 1 und 2 (Dezember 1925) erwähnten Predigt dar – war der Stolz und Übermut, ja die Hartherzigkeit der ostfriesischen Marschbauern, die ihren Reichtum öffentlich zur Schau stellten und den damals teuren und elitären Tee tranken, was den Pietisten ein Dorn im Auge war.
Ein Beispiel für die überregionale Bedeutung dieser Flut war neben einer Vielzahl von bereits ab 1718 unter anderem im pietistischen Halle publizierten Schriften die Herausgabe einer speziellen Landkarte im ungefähren Maßstab 1:450.000 mit Kennzeichnung der Verwüstungen durch den Verleger Johann Baptist Homann (1664 – 1724) in Nürnberg. Die Darstellung reicht vom westfriesländischen Dokkum im Westen bis zum nordfriesischen Risum im Osten. In einer Nebenkarte mit etwas größerem Maßstab ist die Zuiderzee im Westen der Niederlande dargestellt. Außerdem wird der Betrachter der Karte von ihrem Autor textlich auf die Notwendigkeit des Deichbaus an der Nordseeküste hingewiesen. Die angegebene Zahl der Opfer stimmt allerdings nicht mit der Realität überein, da Homann falsche Informationen zur Verfügung standen. Ebenso hat Homann, da er selbst die südliche Nordseeküste nicht kartografiert hatte, verschiedene Fehler aus seinen von anderen Verlegern stammenden Vorlagen übernommen; so zum Beispiel die unwirkliche Wiedergabe der ostfriesischen Inseln – wobei Homann auch noch vergaß, Juist darzustellen. Dafür taucht auf der Karte die schon über 70 Jahre zuvor zum größten Teil untergegangene Insel Nordstrand vor der nordfriesischen Küste wieder auf. Auch die farblich gekennzeichneten Überschwemmungen des Binnenlandes entsprechen nicht völlig den Tatsachen, was daran liegt, dass Homann die Karte schneller entwarf als die komplette Auflistung der Verwüstungen erstellt werden konnte. Trotz dieser Fehler hinterlässt die Darstellung beim Betrachter einen überzeugenden Eindruck über die verheerenden Folgen der Weihnachtsflut von 1717.

Aiko Schmidt M. A.