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Emder Glockenspiel
gespielt von Michael Schunk

KUNSTWERK DES MONATS FEBRUAR 2003 (1)

Artilleriefaschinenmesser Modell 1816

Das Faschinenmesser gehört zur Gruppe der sogenannten Seitengewehre.

Artilleriefaschinenmesser Modell 1816
Frankreich
1816/19
Gesamtlänge: 64,2 cm; Klinge: 50,0 cm; Klingenbreite: 4,3 cm; Gewicht: 1.200 g
Inv.Nr.: RK ohne Inv.Nr.

Marken
Fehlschärfe: Manuf.[re R.ale) du Klingen[thal] (Königliche Manufaktur zu Klingenthal)
Prüfzeichen „B im Blütenkranz mit Stern“ (= Direktor Jean Bureau, 1819)
Prüfzeichen „B mit Kettenkranz“ des Kontrolleurs (ab 1815/16 nachgewiesen)
Prüfzeichen „L“ (= Inspekteur Antoine Mancel, 1822)
Auf Unterseite Parierstange:
Prüfzeichen „B mit Kettenkranz“ des Kontrolleurs und ein verschlagener Prüfstempel
Stempel 42
Parierstange 32

Dies war ursprünglich die Bezeichnung für jede an der Körperseite getragene blanke Waffe wie z. B. Degen, Säbel, Pallasch, Hirschfänger oder Faschinenmesser bezeichnet. Seit dem 18. Jahrhundert verstand man darunter nur noch eine kurze militärische Griffwaffe, heute ausschließlich ein Griffbajonett.
Unser an ein römisches Kurzschwert (lat.: gladius) erinnernde Artillerie-Faschinenmesser führt ein gegossenes, geschupptes Messinggefäß in einfacher Kreuzform mit drei Eisennieten. Das Schuppenmuster sollte die Grifffestigkeit erhöhen. Die kurze zweischneidige Mittelgratklinge mit einem linsenförmigen Querschnitt besitzt auf beiden Seiten drei kurze Hohlbahnen zur Gewichtsverringerung. Die Schuppenmuster des Waffengriffes verweisen auf ihren Einsatz in Artillerieeinheiten, denn die Griffe verwandter Infanteriefaschinenmesser trugen ein Schnurmuster. Am Knauf befand sich wie bei vergleichbaren Waffen ursprünglich die Bourbonen-Lilie, die jedoch nach der Julirevolution 1830 entfernt wurde. Die Marken befinden sich auf der sogenannten Fehlschärfe, der obere Teil der Klinge nahe am Griff und der Unterseite der Parierstange. Diese Marken lassen uns wissen, dass diese Waffe in Klingenthal im Elsaß hergestellt wurde. Diese Manufaktur wurde 1729/30 gegründet und bestand bis 1962. Jeder Meister musste sein Zeichen auf seiner Ware anbringen, um so die gute Qualität seiner Arbeit zu garantieren . Nur eine Klinge, die allen Phasen der Kontrolle entsprach, wurde mit dem Zeichen der Behörden ausgestattet. In Klingenthal trugen die Klingen die Marken des Inspektors der Manufaktur, daneben des jeweiligen Waffenkontrolleurs. Diese wurden auf die Klinge nahe dem Griff geschlagen. Es ist nicht selten, dass Waffen mehrere, auch zeitlich unterschiedliche Prüfstempel tragen. Darüber hinaus ist auf allen Klingen den Namenszug der Manufaktur „Königliche Manufaktur zu Klingenthal“, in der Revolutionszeit nach 1789 „Nationale Kriegswaffenfabrik“, zur Zeit Napoleons I. „Kaiserliche Blankwaffenmanufaktur“, dann wieder „Königliche Manufaktur“ ab 1838 mit dem Namenszusatz der neuen Eigentümer „Coulaux“ zu lesen. Unsere Waffe wurde 1819 gefertigt. 1847 löste ein neues Modell den Typ ab und wurde danach nur noch in der Grade Nationale geführt.
Das Faschinenmesser setzte sich im 19. Jahrhundert durch. Das typische Messer besitzt eine gerade Klinge, andere konnten yataganartig zur Spitze geschwungen sein. Die Klinge sollte möglichst vorderlastig sein, um die Wucht des Schlages zu erhöhen. Vor allem Pioniertruppen (Zimmerleute, Pontoniere, Bautruppen) und Fußmannschaften der Artillerie wurden mit breitklingigen Faschinenmessern ausgerüstet. Diese Soldaten mussten damit hauptsächlich Faschinenbündel herstellen. Fascina bezeichnet in der italienischen Sprache Reisigbündel und das Wort ist den lateinischen fasces, den legendären Rutenbündeln der römischen Liktoren als symbolisches Zeichen der Amtsgewalt verwandt. Faschinen im modernen militärischen Verständnis sind walzenförmige Strauchbündel, die zum Wasser-, Wege- und Batteriebau für Artilleriestellungen, zur Herstellung von Dämmen, Unterbau von Wegen, Bekleiden von Böschungen sowie beim Eindecken von Hohlbauten dienten. So sind die Faschinenmesser der Pioniere schwerer und besitzen oft einen Sägerücken. Bei der Infanterie wurde die Waffe gebraucht, um Äste und Strauchwerk abzuschlagen und so ein freies Schussfeld zu erhalten.
Vorläufer der spezialisierten Waffe waren sowohl in der französischen, österreichischen und spanischen Armee noch mit Säbelklingen montiert. In der Praxis erwiesen diese sich als zu schwach und so setzten sich die kräftigen Hauklingen, die voll oder gekehlt sein konnten, durch. Viele frühe Gefäßformen sind dem Griff des antiken römischen Kurzschwertes, des gladius, entlehnt. Einerseits war die vollendete Form und der Gebrauchswert des römischen Schwertes für die Wahl ausschlaggebend. Doch darüber hinaus ist auch hier eine besondere Form der Antikenrezeption zu finden. Französische Waffen waren seit der Zeit Ludwig des XIV. in Europa stilbildend und dies setzte sich auch in der Zeit der französischen Revolution und Napoleons I. fort. In Frankreich suchte die Aufklärung ihre geistigen Wurzeln vor allem in den Großen der späten römischen Republik, wie Brutus, die ihr republikanisches Staatswesen verteidigten. Was lag näher, erprobte Waffenformen mit ihrer Symbolik auch den Verteidigern der französischen Republik in die Hände zu geben?
Wie unsere Waffe in den Besitz der Rüstkammer gelangte, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Letzte reguläre französische Einheiten verließen Emden nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813. Auf jeden Fall stand die Waffe sicher noch nach 1830 in französischen Militärdiensten, wie die Entfernung der Bourbonen-Lilie verrät. Häufig wurden Beutewaffen in den eigenen Armeen nicht zuletzt aus Kostengründen eingesetzt. Vor allem rückwärtige Einheiten waren mit veralteten Waffensystemen oder Beutewaffen ausgerüstet. Das französische Faschinenmesser Modell 1816 wurde jedoch in seiner ursprünglichen Form nicht in preußische oder hannoversche Dienste übernommen. Vielleicht ist diese Waffe eine Erinnerung oder Trophäe eines ostfriesischen Soldaten oder eine Gabe an die Rüstkammer? Immerhin ließ Kaiser Wilhelm I. nach dem Krieg von 1870/71 deutsche Waffensammlungen und auch die Emder Rüstkammer mit französischen Beutewaffen auffüllen, als Zeichen für den Sieg über den vermeintlichen „Erbfeind“.

Dr. Wolfgang Jahn