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Ostfriesisches Landesmuseum Emden
Brückstraße 1 | 26725 Emden
Tel.: +49 (0)4921 - 87 20 50

Öffnungszeiten:
Di - So: 10:00-17:00 Uhr
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gespielt von Michael Schunk

KUNSTWERK DES MONATS JANUAR 2003 (2)

„Die Gefährten des Cadmus von einer Schlange überfallen“

Über einen bemerkenswerten Zugang in seine Graphische Sammlung darf sich das Ostfriesische Landesmuseum | Emder Rüstkammer seit Juli 2002 freuen.

Vorlage: Hendrick Goltzius (1558 Mühlbrecht bei Venlo – 1617 Haarlem), 1590
Niederländischer Zeichner nach einem Kupferstich von Robert de Baudous (1574/75 – nach 1659), 1604 und 1615
„Die Gefährten des Cadmus von einer Schlange überfallen“
1. Hälfte 17. Jahrhundert
Bleistift, Feder und Tusche in Braun, auf Papier
16,6 x 25,2 cm
Inv.Nr.: GS Kunst 10650

Herr Ernst Heinrich aus Nienburg schenkte eine sehr schöne Zeichnung, die eine im Kupferstich vervielfältigte Komposition des berühmten Hendrick Goltzius (1558 – 1616) wiederholt. Man denkt bei der sehr lebendigen und sorgfältigen Nachzeichnung an einen jungen niederländischen Künstler aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Er führte sie mit Bleistift auf Papier aus; kleinere Partien sind mit der Feder gezeichnet und Schatten wie Lichter mit heller und dunkler Wasserfarbe getuscht, so dass die Zeichnung eine große malerische Wirkung erzielt.
Das Blatt bringt ein höchst dramatisches Geschehen vor Augen. Man sieht eine furchterregende Schlange, die aus Augen und Nüstern Feuer sprüht. Mit ihrem kräftigen Körper windet sie sich gerade über eine starke Baumwurzel hinweg zum Angriff gegen zwei Männer, die links zu sehen sind. Angst und Schrecken zeichnen sich in deren Gesichtern ebenso wie in den kräftigen Bewegungen ab, mit denen sie der Gefahr zu entfliehen suchen. Der vordere der Beiden hat offenbar die Hoffnung, die Schlange mit dem Bogen abwehren zu können. Im Laufen greift er nach einem Pfeil in seinem Köcher. Seinen Gefährten hat das Untier schon an der Hüfte geschnappt. Verzweifelt versucht dieser noch, es abzuwehren.
Das Ungeheuer hat die beiden Gefährten an einem Quell-Brunnen beim Wasserschöpfen überrascht. Ihre Gefäße, die sie vor Schrecken haben fallen lassen, liegen zerbrochen auf dem Waldboden und im Wasserbecken. Der Schauplatz, ein lichter Wald, steigert die Dramatik des Geschehens, das dem Betrachter in vorderster Bildebene ganz unmittelbar vor Augen gerückt ist. So liegt der Brunnen eingebettet in riesige knorrige Baumstämme und Wurzelwerk, die in bizarren Formen im Schatten liegend, eine bedrohliche, beängstigende Atmosphäre vermitteln. Hinter der Quelle führt ein Weg diagonal in die Tiefe und lässt den Blick in die Ferne und auf eine sonnenbeschienene Waldlichtung zu. Nichts lässt hier die tödliche Gefahr erahnen, in die die beiden Männer geraten sind.
Die Darstellung gehört in eine umfangreiche Folge von Illustrationen, die Hendrick Goltzius für eine Neuausgabe der Metamorphosen des Ovid (43 v.Chr. – 18 n.Chr.) zeichnete. 1590 entstanden die drei Blätter zur Geschichte des Cadmus (III. Buch): Ergebnislos war dessen Suche nach der von Jupiter entführten Schwester Europa geblieben. Den Zorn des Vaters Agenor fürchtend, mied er die Heimat und befragte in seiner Not das Orakel von Delphi, wohin er sich wenden solle (Blatt 1). Dieses trug ihm auf, einem Jungrind zu folgen und dort, wo es rasten werde, die Stadt Theben zu gründen. Am Zielort angekommen, suchte Cadmus ein Dankesopfer darzubringen und schickte dazu seine Gefährten aus, frisches Wasser von einer Quelle zu holen. Dort wurden die Ahnungslosen von der zornigen Schlange des Kriegsgottes Mars angefallen. Diesen Moment nun führt das abgebildete Blatt vor Augen. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird Cadmus das Untier nach heftigem Kampf erlegen und so die getöteten Gefährten rächen (Blatt 3). Aus der Aussaat der Drachenzähne gehen kämpferische Männer hervor, die der Sage nach die Stammväter des thebanischen Adels wurden.
Hendrick Goltzius war einer der führenden Künstler in den nördlichen Niederlanden. Seine größte Bedeutung erlangte er im graphischen Medium. Seine Zeichnungen, die er zunächst selbst in Holzschnitte oder Kupferstiche übersetzte, ließ er bald auch von anderen Künstlern reproduzieren. Die zweite Szene der Cadmus-Sage setzte Robert de Baudous (1574/75 – nach 1659) in einen Kupferstich um, der zuerst 1604 und noch einmal 1615 zusammen mit den anderen 51 Illustrationen der Metamorphosen veröffentlicht wurde. Die hier vorgestellte Graphik ist eine sehr sensibel und fein ausgeführte Zeichnung nach diesem Stich.
Die Zeichnungen des Goltzius sowie die Holz- und Kupferstiche von und nach ihm fanden seinerzeit in der Künstlerschaft größte Bewunderung, wofür nicht nur die Emder Zeichnung ein Beispiel ist. Viele Maler setzten seine Kompositionen in eigenständige Gemälde um. So hat etwa auch Hans II van Coninxloo für den Passionszyklus, den er um 1600 für die Ausstattung der Schlosskirche in Berum (bei Norden) schuf, Kupferstiche von Goltzius verwendet. Die Gemälde sind heute ebenfalls im Ostfriesischen Landesmuseum zu sehen.

Dr. Annette Kanzenbach