PRESSEINFORMATION ZUR COMPUTERTOMOGRAPHISCHEN UNTERSUCHUNG DER MOORLEICHE VON BERNUTHSFELD IM KLINIKUM EMDEN

Ansprechpartner:
Kirsten Bädeker
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Diethelm Kranz M.A.
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Eine 1200 Jahre alte Leiche im neuesten Computertomographen Ostfrieslands

Klinikum Emden stellte neues Gerät zur Verfügung / „Bernie“ aus dem Ostfriesischen Landesmuseum Emden soll jetzt rekonstruiert werden

Die Moorleiche aus dem Ostfriesischen Landesmuseums Emden wurde heute (Montag, 28.2) durch den neuen Computertomographen (CT) des Klinikums Emden geschickt. Milliarden von ermittelten Daten fließen ein, wenn Experten anschließend ein dreidimensionales Bild der Moorleiche entwerfen und daraus eine möglichst realistische Gesichtsrekonstruktion erstellen. Seit seiner zufälligen Entdeckung beim Torfabbau in Bernuthsfeld bei Tannenhausen (Lkr. Aurich) im Jahre 1907 ranken sich zahlreiche Rätsel um das Schicksal des jungen Mannes, der sich vermutlich zu Pferde fortbewegte. Doch wie sah dieser Mann beispielsweise aus? Dieses Rätsel soll jetzt durch eine wissenschaftlich fundierte Gesichtsrekonstruktion mit modernsten Methoden geklärt werden, mit deren Hilfe man dem tatsächlichen Aussehen zu Lebzeiten sehr nahe kommen wird.

„Wir unterstützen das Landesmuseum natürlich gern und haben daher sofort zugesagt, als die entsprechende Anfrage gestellt wurde“, erklärte Klinikum-Geschäftsführer Ulrich Pomberg. Der Termin für die ungewöhnliche Untersuchung wurde bewusst in den Februar gelegt. Das Klinikum hat erst vor wenigen Tagen einen hochwertigen CT in Betrieb genommen, der eine Bildgebung in höchster Qualität garantiert. Mit Hilfe von „Bernie“ können die Experten nun ausloten, was das Gerät zu leisten vermag. „Auf die Strahlendosierung, die ansonsten bei diesen Untersuchungen strengen Vorschriften unterliegt, müssen wir bei der Moorleiche keine Rücksicht nehmen“, erklärt der Chefarzt des Instituts für Radiologie im Klinikum Emden, Dr. Rainer Schelp. Bei dem so genannten 64-Zeilen-CT wird nach Auskunft des Chefarztes der gesamte Körper binnen Sekunden erfasst und in beliebiger Sichtweise hoch aufgelöste Schichtbilder und durch Nachberechnung auch dreidimensionale Bilder hergestellt. „Höhere Geschwindigkeit, weniger Kontrastmittel, schärfere Bilder und umfangreiche Softwarepakete für eine spezialisierte Diagnostik“, so fasst Dr. Schelp die Vorteile des neuen Gerätes zusammen. Was bei einer Moorleiche keine Rolle mehr spielt, sei für die Patienten umso wichtiger. So erleichtere der 64-Zeiler den Ärzten die Diagnose. Die Exaktheit und Schärfe der Bilder erlaubten eine schnellere Einschätzung des Krankheitsgeschehens und beeinflussten die Therapieplanung positiv. Aber auch ganz neue Untersuchungen sind durch den neuen CT erst möglich, wie zum Beispiel die virtuelle Koloskopie sowie Untersuchungen der Koronararterien.

Bei „Bernie“ geht es neben der exakten Diagnose darum, Daten zu gewinnen, die für die Rekonstruktion wichtig sind. So ist Dr. Schelp in doppelter Hinsicht auf die Daten sehr gespannt. „Wenn der Mann Knochenverletzungen davongetragen hat, werden wir das bei unserer Auswertung sehen können“, so der Radiologe. Dadurch wird dann auch Gewissheit darüber existieren, ob „Bernie“ tatsächlich – wie bislang angenommen – durch einen Schlag auf die linke Schädelhälfte gestorben ist. „Es wird aufregend sein, Bernie ins Gesicht schauen zu können“, freut sich Dr. Jürgen Bär auf die Rekonstruktion. Der Archäologe am Ostfriesischen Landesmuseum Emden hat alles zusammengetragen, was man über die Moorleiche finden kann.

Die Moorleiche ist seit vielen Jahrzehnten ein besonderer Anziehungspunkt in der Ausstellung des Ostfriesischen Landesmuseums Emden. Sie bildet das Zentrum der archäologischen Bereiche der aktuellen Dauerausstellung im Rathaus am Delft. Es handelt sich um das Skelett eines etwa 30-jährigen Mannes, der im 8. Jahrhundert n. Chr. im Moor in einer eigens ausgehobenen und mit Moos gepolsterten Grube bestattet wurde. Das Besondere an den Fundumständen ist, dass sich neben dem Skelett auch der blonde Haarschopf und die komplette Kleidung des Mannes und Accessoires wie eine lederne Messerscheide und ein Lederriemen, der wahrscheinlich zur Befestigung eines Sporns genutzt wurde, erhalten haben. Damit steht ein für Ostfriesland und ganz Nordwestdeutschland einzigartiger Beleg zur Verfügung, der Einblick in die Lebenswelten des frühen Mittelalters gewährt.


Schon kurze Zeit nach dem Fund der Moorleiche äußerten sich ausgewiesene Pathologen und Altertumsforscher, darunter Johanna Mestorf – die Grand dame der deutschen Moorleichen-Forschung – sowie der Hannoveraner Prähistoriker Hans Hahne, erstmals zum möglichen Aussehen des ursprünglich etwa 1,65 Meter großen Mannes. Bereits vor etwa 100 Jahren entstand ein erstes künstlerisches Abbild in Form einer Gipsfigur, die jedoch nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse widerspiegelt, sondern vielmehr die zeitgenössischen historischen Vorstellungen vom edlen Germanen.

Die aktuellen Forschungsergebnisse und die neue Rekonstruktion sollen 2013 in dem geplanten Ausstellungsprojekt „Land der Entdeckungen – Die Archäologie des friesischen Küstenraumes“ zu sehen sein. Das Projekt „Land der Entdeckungen“ wird im Rahmen des INTERREG IV A Programms Deutschland-Nederland mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert und vom Land Niedersachsen sowie den Provinzen Drenthe, Fryslân und Groningen kofinanziert. Das Projekt wird durch das Programm-Management bei der Ems Dollart Region (EDR) begleitet.

Das Ausstellungsprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Ostfriesischen Landesmuseum Emden und der Ostfriesischen Landschaft, die Leadpartner bei dem Gesamtprojekt ist, organisiert. Im ersten Halbjahr 2013 wird die Ausstellung zunächst im Ostfriesischen Landesmuseum Emden, im Rathaus am Delft zu erleben sein. Im zweiten Halbjahr geht sie in die nördlichen Niederlande und wird dort zeitgleich im Drents Museum, im Fries Museum und im Groninger Museum gezeigt, wobei in jedem Museum ein regional typisches Thema vertiefend dargeboten wird. Ihre Besucher haben so die Möglichkeit, in ein neues Gesicht aus einer längst vergangenen Zeit blicken.

Geplant ist, dass die 63 Zentimeter große Gipsskulptur aus der Zeit um 1910 ebenfalls in der Ausstellung präsentiert wird. Dadurch kann jeder Interessierte die ursprüngliche und aktuelle Rekonstruktion direkt miteinander vergleichen, um so nicht nur die technischen Methoden der Rekonstruktion nachzuvollziehen, sondern auch die forschungsgeschichtlichen Veränderungen in unserem heutigen Geschichtsbild.

 


Zum Verfahren der Computertomographie:
Die Computertomographie ist die rechnerbasierte Auswertung einer Vielzahl aus verschiedenen Richtungen aufgenommener Röngenaufnahmen eines Objektes, um daraus ein Schnittbild zu erzeugen. Beim herkömmlichen Röntgenverfahren wird das abzubildende Objekt von einer Röntgenquelle durchleuchtet und auf einem Röntgenfilm abgebildet. Es entsteht eine Projektion auf eine Fläche. Bei dieser Projektion gehen Informationen, die die dritte Dimension betreffen, weitgehend verloren. Die Computertomographie umgeht dieses Problem, indem sie viele Röntgenbilder des Objekts aus den unterschiedlichen Richtungen erstellt und nachträglich aus diesen Abbildungen die nicht erfasste Volumenstruktur rekonstruiert. In der Regel setzen sich diese 3-D-Rekonstruktionen aus Einzelschnitten zusammen. 1992 gab es den ersten CT, der bei einem Röhrenumlauf zwei Schnitte gleichzeitig aufnahm. Die Schichtzahl wurde im Laufe der Jahre immer mehr vergrößert. Seit 2006 gibt es die 64-Zeiler, die 64-mal schneller arbeiten als die einzeiligen Geräte. Im Klinikum Emden wurde vor der Neuanschaffung ein Zweizeilen-CT verwendet.


Das Projekt „Land der Entdeckungen“ wird unterstützt durch / Mede mogelijk gemaakt door:


www.deutschland-nederland.eu


Beteiligte Projektpartner:


Stützpunkt Oldenburg
Ev.-luth. Kirchengemeinde
St. Bartholomäus Dornum