KUNSTWERK DES MONATS NOVEMBER 2007

Der Baum der Erkenntnis

Im Zentrum schwebt Gott, dargestellt als alter, aber vitaler Mann mit hellem gelockten Haupthaar und Bart sowie mit einer Tunika bekleidet.

Wolfgang Kilian (1581 Augsburg – 1662 Augsburg)
Der Baum der Erkenntnis
1608
Kupferstich
22,7 x 29,6 cm
Inv.Nr.: GS Kunst 2022

Umgeben ist er von einem Nimbus sowie fünf voll ausgebildeten Knaben (ital. putti) und acht geflügelten Putten ohne Körper, die ebenfalls keinen Bodenkontakt haben. Diese sollen wohl Engel darstellen, haben aber mit den in der Bibel erwähnten Boten Gottes nicht viel gemein. Eigentlich sind Engel Wesen in nicht leibgebundener Geistigkeit, die häufig in menschlicher Gestalt auftauchen. Seit dem späten Mittelalter wurden sie in der bildenden Kunst gern als Jünglinge oder gar Kinder dargestellt.
Mit der rechten Hand zeigt Gott auf einen Apfelbaum – den Baum der Erkenntnis – und mit dem Zeigefinger der linken Hand deutet er auf Adam, der vor ihm in der rechten Bildhälfte kniet. „Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen“ (1. Buch Mose, Kap. 2, Vers 16 und 17).
Während Adam die rechte Hand empfangend ausgestreckt hält und dabei Gott ins Antlitz blickt, greift er sich mit der linken Hand an die Brust, als tue er kund, dass er Gottes Gebot in seinem Herzen tragen und achten wolle.
Rechts neben ihm steht Eva, die Gott nach den oben zitierten Versen aus der Rippe Adams erschuf. (Vers 21 – 25).
Zwischen Adam und Eva steht ein Hund mit leicht geneigtem Kopf, der die Treue und die theologische Tugend des Glaubens symbolisiert. Am linken Bildrand befindet sich ein Pfauen-Paar, das als Symbol der Vermittlung ewigen Lebens gilt, da erst das Kosten einer Frucht vom Baum der Erkenntnis die Sterblichkeit des Menschen bedingen sollte: „denn an dem Tage, da du von ihm issest, musst du des Todes sterben“ (Vers 17).
Hinter diesem Baum stehen sich ein männlicher und ein weiblicher Hirsch gegenüber. Der Hirsch ist der Überwältiger der Schlange, die den Sündenfall einleitete und auch den Teufel symbolisiert. Legendarisch ist überliefert, dass die Schlange in ein Erdloch floh, als der Hirsch, dessen Lieblingsspeise Schlangen sein sollen, Wasser trank. Doch der Hirsch erbrach das Wasser und trieb so die Schlange aus ihrem Versteck, um sie dann mit seinen Hufen zu zertreten und zu fressen.
Über der Szene fliegen zwei Kraniche, die für Wachsamkeit stehen. Wenn Kranichschwärme ziehen, dann wird in der Ruhephase ein Wachvogel abgestellt, der – um nicht einzuschlafen – einen Stein festhält.
Die Signatur „WG.K.fc.“ unten rechts verrät, dass Wolfgang Kilian (1581 in Augsburg – 1662 in Augsburg) das Blatt gearbeitet hat. Zusammen mit seinem Halbbruder Raphael Custos (um 1590 in Augsburg – 1664 in Augsburg) schuf Kilian 14 Kupferstiche nach Vorlagen eines nicht eindeutig zu identifizierenden flämischen Malers Nicolaus de Hoey. 1608 wurden diese Darstellungen in dem Buch „Nimbus calamitatum humani generis. Lapsi. Platzregen Menschlich not on tzal. Nach unser ersten Elteren Fall“ (Vom Menschen durch den Sündenfall geschaffene Regenwolke des Schadens) veröffentlicht.
Noch bis zum 13.1.2008 können weitere Paradies-Darstellungen, die handgezeichnet und wesentlich älter als der hier vorgestellte Kupferstich sind, in der Sonderausstellung „Hortus – Paradiesgärten in der mittelalterlichen Buchmalerei“ des Ostfriesischen Landesmuseums Emden betrachtet werden.

Aiko Schmidt M. A.