KUNSTWERK DES MONATS JULI 2006 (2)
Ein Bildhauer Ostfrieslands
Der erste Blick auf diesen Kopf einer jungen Frau irritiert. Sofort entsteht die Abwehr gegen eine Kunstrichtung, die mit dem Nationalsozialismus verknüpft zu sein scheint.
August Wilhelm Remme (1892 Osnabrück – ?)
Porträtbüste Irmgard Meyer-Dinkgräfe
1933
Stein
30,0 x 17,0 x 24,0 cm
Inv.Nr.: Pl 268
Die Büste ist auch tatsächlich 1933 von dem Bildhauer August W. Remme geschaffen worden. Wer war dieser Künstler? Eine umfassende Lebensgeschichte gibt es von ihm nicht, nur ein paar Daten und einen kleinen Aufsatz von 1953 zu seinem plastischen Werk. Er gehört also nicht zur ersten Klasse der Bildhauer im 20. Jahrhundert, ist aber für die Region Ostfriesland von besonderem Interesse.
Remme wurde 1892 in Osnabrück geboren und kam 1914 als Lehrer nach Ostfriesland. Er blieb sein ganzes Leben hier, arbeitete u. a. in Loga, Brinkum, Holtgaste oder Emden und ließ sich nach dem ersten Weltkrieg in Leer nieder. 1925 hatte er nach einer Italienreise sein Augenmerk auf die ostfriesischen Charaktere gelegt. Vielleicht war es besonders die andere Kultur, die er in Italien vorfand, die ihn das eigene Umfeld in seiner Wahlheimat besser erkennen ließ. So wurde sein Schwerpunkt die Darstellung der ostfriesischen Köpfe, wohl mehr in ihrer Typik als in ihrer persönlichen Besonderheit. Die Suche nach dem Charakter ist der Skulptur der 20er-Jahre insgesamt wichtig und drückt sich in der Nachfolge der Figuren Rodins aus. Rodin (1840 – 1917) hatte so großartige Skulpturen wie „Der Denker“ (1880) geschaffen, über den Rilke schreibt: „Sein ganzer Leib ist Schädel geworden und alles Blut in seinen Adern Gehirn.“ Diese Expressivität in der Körperform hat die späteren Bildhauer wie Wilhelm Lehmbruck oder Georg Kolbe fasziniert. Die expressionistische Darstellungsweise mit ihren unnatürlichen Proportionen aber starker Ausdrucksfähigkeit ist auch bei Remme vertreten. Eine solche Porträtbüste ist ebenfalls im Besitz des Ostfriesischen Landesmuseums. Doch hat sich der Künstler in der hier abgebildeten Büste einer jungen Frau nicht der unnatürlichen Formen bedient, sondern vielmehr der natürlichen Klarheit den Vorzug gegeben. In den späten 20er-Jahren sind viele Skulpturen entstanden, die nicht mehr von der ungleichmäßigen Form der Oberfläche in Metall, Holz oder Terrakotta bestimmt werden, sondern glatte und realistische Formen gewählt haben. Diese realistische Richtung ist dann in der faschistischen Zeit als allein gültig deklariert worden, was unseren Blick heute so benebelt. Die Heimatverbundenheit, der Remme in seiner Skulptur zum Ausdruck verhelfen wollte, ist schon früher in den Bildern der Maler aus Worpswede zu finden. Die Grenze zur „Deutschtümelei“ oder zum „Blut und Boden“ ist schmal. Aber niemals wäre diesen Künstlern ein Vorwurf daraus zu machen. Remme ebenso wenig.
Zum Schluss noch ein Wort zur Dargestellten: Remme schuf das Porträt der Irmgard Meyer-Dinkgräfe in Klein-Lessen (Gemeinde Sulingen bei Bremen). Der Ehemann der Dargestellten, Dr. Wilhelm Meyer-Dinkgräfe, wurde als Schulrektor in Hannover vor den Nationalsozialisten 1933 denunziert und ließ sich in den vorzeitigen Ruhestand versetzen, um nicht zum Volksschullehrer zurückgestuft zu werden. Er zog sich nach Klein-Lessen zurück. Diese Geschichte spricht deutlich gegen einen faschistoiden Zug in der Gestaltung der Kopfbüste. Das Ostfriesische Landesmuseum konnte das Porträt von den Erben der Irmgard Meyer-Dingräfe erwerben.
Dr. Hans-Peter Glimme