KUNSTWERK DES MONATS JANUAR 2008

Landschaftsmaler entdecken Ostfriesland: Leonhard Sandrock

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts beginnen erste Maler die eher karge und raue Landschaft an der Nordseeküste zu entdecken.

Leonhard Sandrock (1867 Neumarkt – 1945 Berlin)
Im Ratsdelft von Emden
1904 – 1910
Öl auf Leinwand
25,0 x 37,0 cm
Geschenk des Landes Niedersachsen 2007 an das Ostfriesische Landesmuseum Emden
Inv.Nr.: OLM 708

 

Das Moorgebiet um Worpswede und die Insel Sylt werden in den Sommermonaten pulsierende Treffpunkte für die aus den unterschiedlichsten Gegenden anreisenden Künstler. Andere aber locken die noch weiter abseits gelegenen Regionen. Zu den ersten Malern, die bis nach Ostfriesland kamen, gehört der in Berlin ansässig gewesene Leonhard Sandrock. Man weiß von Aufenthalten zwischen 1904 und 1910. Seine Bilder zeigen die offene See ebenso wie die malerisch in das Stadtbild eingebetteten Werften und Hafenanlagen Emdens. Sandrock gehört zu den ersten Malern, die Ostfriesland in Landschafts- und Stadtansichten bekannt machten, – so wie neben ihm der aus Dresden stammende Maler Adolf Fischer-Gurig, der 1902 das erste Mal nach Ostfriesland kam.
Die auf den Studienreisen gefundenen Motive setzten die Maler meist erst im Atelier in durchgearbeitete Gemälde um. Diese präsentierten sie in den Kunstzentren, etwa auf der Großen Berliner Kunstausstellung, wo sie Sammler und ehemalige Sommergäste erwarben. Kaum ein Bild kehrte damals in den Nordwesten zurück. So wundert es nicht, dass bis heute viele Landschaftsmaler als Besucher Emdens und Ostfrieslands noch wenig bekannt sind. Leonhard Sandrock ist einer dieser Maler. Deshalb ist eine besondere Freude, dass das Ostfriesische Landesmuseum Emden eines seiner Gemälde erwerben konnte. Das Land Niedersachsen schenkte es dem Museum anlässlich der Übergabe des Museumspreises der Niedersächsischen Sparkassenstiftung im Dezember 2007.
Leonhard Sandrocks Gemälde schildert einen Blick vom Hafen aus in den Ratsdelft in Emden. Diese 1944 untergegangene Partie der Innenstadtbebauung ist von den Künstlern immer wieder festgehalten worden. Sandrocks Werk zeichnet eine ganz besondere, den Betrachter fesselnde Atmosphäre aus. Durch die diagonal ins Bild gesetzten Schiffe links vorn und der fast quer dazu verlaufenden Häuserzeile in der Tiefe wird Räumlichkeit vermittelt, die in anderen Partien des Bildes auch wieder überwunden erscheint. So korrespondiert das Rathaus, das sich majestätisch hinter den Gebäuden erhebt, wirkungsvoll mit den hoch aufragenden Schiffsmasten vorn. Zu diesem durchaus spannungsreichen Miteinander tritt eine gedämpfte Stimmung aus fein aufeinander abgestimmten, mit Braun und Grau gebrochenen Farben. Sie werden durch sparsam gesetzte, kräftige Töne von Rot, Grün und Weiß akzentuiert, was gleichzeitig den Eindruck einer klaren, frischen Luft erleben lässt. Diesen befördern noch die lichten grafischen Strukturen, die den skizzenhaften Farbauftrag stabilisieren. Man erlebt die eigentümliche Atmosphäre einer alten Nordsee-Hafenstadt jenseits hektischer Betriebsamkeit.
Leonhard Sandrock, 1867 in Neumarkt / Schlesien geboren und 1945 in Berlin gestorben, hatte zunächst eine militärische Laufbahn eingeschlagen, die 1894 ein Sturz vom Pferd beendete. Er entschied sich, Maler zu werden und ging nach Berlin, wo er die angesehene Kunstschule von Hermann Eschke (1823 – 1900) besuchte. Spätestens 1900 ließ sich Sandrock in Berlin als freischaffender Landschaftsmaler nieder. Bald wendete er sich ganz dem Impressionismus zu und suchte mit seiner unverwechselbaren künstlerischen Handschrift die gesehene Welt über das Gegenständliche hinaus in ihrer spezifischen Licht- und Farbatmosphäre zu schildern. Weniger das Sujet als die momenthafte Sichtweise war das Neue des deutschen Impressionismus. Zu diesem Zwecke schufen die Maler unmittelbar vor dem Motiv Studien, in denen sie so authentisch wie möglich die stimmungstragenden Farben festzuhalten suchten. Das Emder Bild zeichnet mit seinem kleinen Format und der auffällig spontanen Malweise der Charakter solcher Farbskizzen aus, die wir heute für ihre Unmittelbarkeit im Ausdruck ganz besonders schätzen.

Dr. Annette Kanzenbach