KUNSTWERK DES MONATS JANUAR 2012

Hans Trimborn - Selbstbildnis (mit Zigarette)

Mit hoch gezogener Augenbraue schaut Hans Trimborn über seine linke Schulter direkt in die Augen des Betrachters.

Hans Trimborn (* 2.8.1891 in Plittersdorf bei Bonn † 11.10.1979 in Norden)
Selbstbildnis (mit Zigarette)
Kreidezeichnung
um 1936
H: 37,8 cm; B: 37,6 cm
Inv. Nr. GS Kunst 100006

Eine brennende Zigarette steckt zwischen den Lippen. Der Gesichtsausdruck ist ernst, Skepsis liegt im Blick.
Als ein hagerer Mann, der sich selbst und seine Umwelt kritisch zu hinterfragen scheint, tritt uns Hans Trimborn auf dieser Kreidezeichnung im Dreiviertelbildnis gegenüber. Eine scharfkantige, jegliche Weichheit aus den Gesichtszügen eliminierende Kontur, die die Kinnpartie unnatürlich eckig erscheinen lässt, unterstützt die Strenge des Ausdrucks. Auch wenn sich der Dargestellte hier nicht als Maler charakterisiert, so ist doch die Vorstellung vom Künstler als Beobachter und Zweifler die von der Zeichnung ausstrahlende Botschaft. Dass dieser gleichzeitig ein Genussmensch war, davon zeugt die Zigarette. Trimborn knüpft damit an die Tradition der Raucherselbstbildnisse an, wie sie auch die von ihm bewunderten Maler Vincent van Gogh und Edvard Munch gestalteten. Anders als Munch etwa, der sich 1895 nicht mehr mit der aus der Mode geratenen Pfeife, sondern zeitgemäß und weltgewandt mit einer qualmenden Zigarette in der Hand porträtierte, rückt Trimborn die eigene Lässigkeit in den Mittelpunkt, indem er die Zigarette keck aus dem Mundwinkel ragen lässt.
Bis ins hohe Alter hat sich Hans Trimborn in all seinen künstlerischen Medien immer wieder und zumeist wie hier im Kopf- oder Brustbild festgehalten. Bemühte er sich bei frühen Zeichnungen gegen 1914 noch, sein Antlitz möglichst detailliert wiederzugeben, so begann er bald zu stilisieren, um bestimmte Aspekte seines Wesens und unterschiedliche Stimmungslagen hervorzukehren. Schmerz, Zweifel, Sorgen, Schrecken und Trauer sind die vorherrschenden Empfindungen, die diese Werke vermitteln. Dem eigenen Körper und dessen Haltung misst er kaum Bedeutung bei; die Gefühle sind fast ausnahmslos aus der Physiognomie abzulesen. Nicht selten nähert er sein Antlitz den ausgemergelten Zügen des leidenden Christus an, um persönliche oder kollektive, durch die Weltkriege verursachte Qualen zu symbolisieren.
Schmerzhafte Erfahrungen, die Trimborn zu einer ernsten, kritischen Weltsicht bewogen, hatte er früh gemacht. Als Siebenjähriger verlor er seine Mutter und aus dem Ersten Weltkrieg, in dem er aufgrund eines begonnenen Medizinstudiums als Sanitätssoldat und später als Feldunterarzt in verschiedenen Lazaretten tätig war, hatte er Traumatisierungen davongetragen, die ihn zum Pazifisten formten. Die Arbeit entstand, nachdem für ihn mit der Übersiedlung nach Norderney ein neuer Lebensabschnitt begonnen hatte und er sich dort sowohl als Musiker etablieren konnte als auch als Maler Erfolge zu verbuchen hatte. Und so ist dann dem Bildnis trotz aller Ernsthaftigkeit auch ein wenig anzumerken von dem erwachten Selbstbewusstsein als Künstler.
Die Zeichnung konnte im Rahmen der aktuellen Ausstellung im Ostfriesischen Landesmuseum Emden von der „Kunst“ aus dem Nachlass erworben werden. Die Datierung erfolgte aufgrund einer ähnlichen Darstellung in derselben Technik, die mit „Selbst. 1936“ vom Künstler bezeichnet ist.

Susanne Augat M. A.