KUNSTWERK DES MONATS APRIL 2011

Das Waschgeschirr – auch Lavoir oder Lavabo genannt – aus dem Ratssilberschatz der Stadt Emden

Die silbernen und teilvergoldeten Wasserkanne und Schale sind Teil des städtischen Tafelsilbers und werden bewusst in der Passionszeit vorgestellt.

Silberschmied: Reinhard Dietmar (1582 Meister in Straßburg)
Wasserkanne und Schale
Silber, teilvergoldet
1582 – 1600
Inv.Nrn.: SK 6 / SK 7
Ostfriesisches Landesmuseum Emden – Emder Ratssilber

Unter Tafelsilber wird die Gesamtheit von Gegenständen aus Edelmetall bezeichnet, die sich sowohl auf einer Tafel befinden als auch für ein festliches Gastmahl benötigt werden. Neben Tischgedecken können im übertragenen Sinn außerdem kostbares Hab und Gut gemeint sein.
Zum Tafelsilber im ursprünglichen Sinn gehören sowohl Korpuswaren wie Essgeschirr, dekorative Elemente, beispielsweise Kerzenständer, als auch später Bestecke. Das Tafelsilber der Stadt Emden besteht aus drei Trinkpokalen mit Deckel, einem Prunkpokal mit Aufsatz in Schiffsform, einer Schale mit Deckel und dem hier vorgestellten Lavoir.
Die Kanne des Waschgeschirrs ist in Form einer antiken Vase gearbeitet. Der Fuß ist abwechselnd mit reliefierten Engelsköpfen und Rankwerk verziert. Der schlanke Hals mündet in einem ausladenden Schnabelausguss. Der Ausguss wiederum ist mit einer getriebenen, von Rankenwerk umgebenen Maske verziert. Der gegossene Henkel in der Gestalt eines Büstenpfeilers ist vergoldet und endet an der Wandung in einer Maske.
Das Beschauzeichen auf dem Fuß verweist auf Straßburg als Herstellungsort und auf den Zeitraum zwischen 1568 und 1615. Durch das Meisterzeichen „R“ auf dem Fuß kann das Waschgeschirr dem Silberschmied Reinhard Dietmar, der ab 1582 Meister in Straßburg war, zugeordnet werden.
In der Schale bildet das Emder Wappen das Zentrum des sogenannten Spiegels auf einer verzierten Ronde. Um das erhabene Zentrum liegen ein Kranz aus Schmuckgirlanden und drei Felder mit Landschaftsszenen.
Die jeweiligen Muster von Kanne und Schale orientieren sich an Vorlagenbücher und Stiche jener Zeit.
Seit dem Altertum ist der Gebrauch von Tafelgerät aus Silber bekannt. Es bezeugte eine herausgehobene Stellung seines Besitzers.
Ein herausragendes Beispiel über Tafelsilber aus der Zeit des Pontius Pilatus ist der Schatz von Boscoreale aus Süditalien. Der Hildesheimer Fund römischen Tafelsilbers belegt, dass solch wertvolle Gegenstände nach Germanien gekommen sind. Auch im Mittelalter wurde Tafelsilber als Merkmal für gehobene Tischkultur angesehen und demonstrierte nebenbei adelige Pracht. Ab der Zeit der Renaissance erlebte die Goldschmiedekunst eine Blüte. Es gab jedoch den einen oder anderen Adligen, der aus finanziellen Gründen die Gegenstände aus wertvollem Silber verpfändete. Der finanzschwache Kaiser Maximilian I., der im Jahr zuvor in einem Privileg der Stadt Emden die Wahl ihres Wappens bestätigte, griff 1496 zu diesem Mittel.
Nach dem Vorbild adeliger Hofkultur hielt Tafelsilber auch in bürgerliche Kontexte Einzug.
Da die Gabel in Nordeuropa erst um 1700 in Mode kam, waren Lavoirs zur Reinigung der Hände während des Essens hilfreiche Accessoires.
Außerdem wurden sie bei zeremoniellen Handwaschungen verwendet. Das Händewaschen war die erste zeremonielle Handlung, nachdem beispielsweise der Fürst an der Tafel Platz genommen hatte. Dafür wurden ihm Kanne und Becken gereicht, die aus Silber oder Gold hergestellt waren. Diese Zeremonie war das Privileg des ranghöchsten Teilnehmers an der Tafel.
Mögliche Anlässe der Benutzung Emder Tafelsilbers waren besondere Tage im städtischen Leben. Vorstellbar sind konstituierende Sitzungen des achtköpfigen Magistrats oder andere herausragende Gelegenheiten im Umfeld des Vierziger Kollegiums, das von Emder Bürgern gewählt, die Magistrate und bis zu vier Bürgermeister aussuchte. Genaue Nachrichten darüber liegen jedoch nicht vor. In der christlichen Ikonographie wird sehr oft Bezug genommen auf Matthäus 27 Vers 24: „Pilatus sah, dass er nichts erreichte. Im Gegenteil, der Tumult wurde immer schlimmer. Er ließ sich Wasser bringen, wusch sich vor den Augen der Menge die Hände und sagte: »Ich bin unschuldig am Tod dieses Mannes. Was jetzt geschieht, ist eure Sache.«“ Im Mittelalter werden liturgische Handwaschungen etwa von Honorius Augustodunensis und Guillelmus Durandus in Erläuterungen zur Messe erwähnt.
Waschgeschirr aus Silber hatte also viele Funktionen. Als Bestandteil des Tafelsilbers hat es als Geldanlage und stille Reserve seine Bedeutung. Es diente als Prunkgerät und wurde als zeremonielles und liturgisches Werkzeug genutzt. Darüber hinaus fand es als Teil des praktischen Ess- und Trinkgeschirrs Verwendung.

Diethelm Kranz M. A.